Es ist erstaunlich, welche Strecken man mit einem Mountainbike in vier Tagen zurücklegen kann. Erstaunlich ist auch, was die TeilnehmerInnen vom Nationalpark Bike-Marathon an einem Tag leisten. Wir haben etwa drei Viertel der Strecke in zwei Tagen gemacht. Erstaunlich ist, dass wir während vier Tagen mit unseren Bikes über Stock und Stein gefahren sind, mit ihnen nicht sehr schonend umgegangen sind und trotzdem keinen Zwischenfall hatten. Hätten wir kein Werkzeug mitgeschleppt, wäre bestimmt etwas passiert. Erstaunlich ist auch, wie schnell man zum Tausch der Handynummer gefragt wird. Nein, wir waren keinen Frauen hinterher und wir hatten auch keine weibliche Begleitung. Später mehr zu diesem Nummerntausch.
Am Freitagmorgen sind wir von Oensingen nach Zürich, dann nach Chur und schliesslich nach Scuol gefahren. Nach dem letzten Umsteigen in Chur, setzten wir uns in ein Abteil, wo auch andere Biker ihren Platz gefunden hatten, so ein Ehepaar direkt neben uns. Es waren dies Sandra, diesen Namen konnte ich mir gut merken und André. Schnell war Dänu mit ihnen im Gespräch, ich hielt mich zurück und hörte nur zu. Im Gespräch stellte sich dann raus, dass sie das gleiche Tagesziel hatten wie wir. Dänu zog seine Dokumentationsmappe mit verschiedenen Karten, Höhenprofilen, A4 Übersichtsausdrucken und Notizen zu unserer Tour hervor. Hier wurde seine sehr gute Vorbereitung ein erstes mal bewundert. Sie zeigten uns ihr Vorhaben, und wir zeigten unser Vorhaben für die nächsten Tage auf der Karte.
Das geschulte Auge von Dänu erkannte sofort, dass sie drei Rucksäcke hatten. Mit halb lauter Stimme und einem Augenzwinkern sagte er zu mir: „Nimmt mi de wunger wie die de dr dritt Rucksack mitnähme!“ In Scuol angekommen, war dann klar wie der Rucksack den Weg zum Hotel vom Abend finden wird. Madelaine und Hansruedi ein befreundetes Ehepaar erwarteten die beiden. So wie Madelaine gekleidet war, war klar, dass sie mit dem Auto ans Zielort fahren wird. Hansruedi schloss sich dem Postteam (Sandra und André, beide arbeiten bei der Post) an. Als ich das Auto sah kam mir eine Idee: Ich könnte ihr die Kleider, die ich erst am Abend brauchen würde mitgeben. Schliesslich war es mir zu umständlich und ich wollte es auch so schaffen. So verwarf ich diese Option wieder.
Mit unseren Bikes fuhren wir kurz nach zehn also los. Am Anfang unseres ersten Anstieges bemerkte ich ein Schleifen an der Vorderbremse bei Dänu. Seine Antwort war dann: „I luege de am Obe.“
Der Weg führte uns über S-Charl, ein sehr schönes, verträumtes Örtchen, wo wir eine Mittagspause machten, von dort zum Pass da Costainas nach Fuldera. Die Strasse zu S-Charl war bis kurz vor unserer Tour gesperrt. Es war eine Teerstrasse und lange konnten wir nicht verstehen, warum diese Strasse gesperrt wurde. Als dann der Anstieg fertig war und uns der Weg ins Tal führte wurde es klar. Die Teerstrasse war fertig und der Weg schlängelte sich an Geröllhalden entlang weiter Richtung S-Charl. Wieder einmal zeigt uns die Natur, welche unglaubliche Zerstörungskraft in ihr steckt. Es war unvorstellbar, dass da bis vor kurzem eine Teerstrasse war. Im Bachbett unterhalb der Strasse konnten wir einen massiven Brückenpfeiler liegen sehen. Zu welcher Brücke dieser Pfeiler gehörte, war uns nicht klar. Die Aufräumarbeiten waren im Gange. Mit Baggern legten die Arbeiter einzelne Bachbetten wieder frei.
Nach dem Mittagessen fuhren wir Richtung Passhöhe. Es wartete ein schöner Singletrail kurz vor der Passhöhe. Von dort bis nach Fuldera war es nicht mehr weit und wir konnten es zu einem grossen Teil einfach laufen lassen.
Nach dem Duschen inspizierten wir unsere Bikes und Dänu meinte zu seiner Bremse: „I luge de morn.“;-) Madeleine und das erweiterte Postteam (Sandra, André und Hansruedi) waren inzwischen auch zurück und wir setzten uns zu ihnen an den Tisch und tranken ein Bier. Dänu hatte seine vorbereiteten Unterlagen zur Tour dabei, um die Tour vom nächsten Tag zu studieren und hier wurde seine umfassende Vorbereitung ein zweites Mal von Hansruedi bewundert. Es wurde erzählt, diskutiert und gelacht. Beim Abendessen ging es genauso weiter. Madeleine erzählte von zwei englischen Bikern, die am späten Abend in einem Dörfchen oberhalb von Thusis eine Unterkunft suchten. Auch nach etlichen Telefonaten konnte Madeleine keine Unterkunft in der Nähe finden. Den Engländern blieb nur die Wahl zwischen: zurück nach Thusis oder hoch zum Apfelhof. Sie hatten Glück, dass jemand Hanspeter sie mit dem Auto zum Hanspeter vom Apfelhof führte. Der Hanspeter ist der Wirt vom Restaurant auf dem Apfelhof. So wie ich es verstanden habe, nennen sie ihn 'Hanspeter vom Apfelhof'.
Später am Abend kamen wir auf die Kontrollen am Zoll zu sprechen, da wir über Livigno diskutierten. Madeleine verriet uns, wie geschickt sie die Zöllner in ein Gespräch verwickeln kann und sie schlussendlich ungeprüft fahren kann. Dann fügte sie hinzu, dass es Leute gebe, wie der Hanspeter vom Apfelhof, die immer gefilzt werden. Warum das so sei, wisse man, wenn man den Hanspeter vom Apfelhof gesehen habe.
Dieser Hanspeter war an diesem Abend noch ein paar mal Thema und Madelaine erzählte auf eine lustige Art und Weise, dass uns dieser Hanspeter vom Apfelhof auch in den nachfolgenden Tagen immer wieder in den Sinn kam.
Am nächsten Tag nach dem Morgenessen verabschiedeten wir uns von der netten Bekanntschaft vom Vortag. Hier kam es zum Adressenaustausch zwischen Dänu und dem Ehepaar Hansruedi und Madelaine. ;-)
Mit dem Rucksack am Rücken und Dänu mit seiner schleifenden Bremse, fuhren wir durch das Val Mora nach Passo di Fraéle, dann entlang der Valle Alpisella nach Livigno, weiter über die Fuorcla di Livigno nach Poschiavo. Dieser Abschnitt war von mir aus gesehen das Herzstück der Tour. Zuerst durch das wunderschöne, wilde Tal Val Mora, welches ich jedem empfehlen kann, danach folgte ein wunderbarer Singletrail am Fluss entlang bis Passo di Fraéle. Hier passierten wir die Grenze zu Italien. Das merkte man daran, dass plötzlich vermehrt E - Mountainbiker unterwegs waren. Bei Passo di Fraéle hat es einen schönen Rastplatz und hier waren auch viele E-Mountainbikes und normale Mountainbikes ohne Motor parkiert. Lustigerweise war die Zuweisung von Sportler und Sportgerät eindeutig machbar. Es gab einen Zusammenhang zwischen Körperbau und Moutainbiketyp. Wir wurden oft von E – Mountainbikern überholt, beim ersten Mal war es jedoch speziell für mich. Ich blickte zurück und sah in der Ferne zwei Biker. Beim nächsten Zurückblicken hatten sie schon fast zu uns aufgeschlossen. Im ersten Moment fühlte ich mich schlecht und völlig unfit. Als sie dann auf gleicher Höhe waren, bemerkte ich dass sie mit einer riesigen Übersetzung fuhren, die wohl nur Nino Schurter knapp fahren kann. Einen Blick zwischen die Pedale, die Lösung des Rätsels war gefunden und für mich eine gewisse Erleichterung, dass ich doch nicht komplett untrainiert bin. ;-)
Nach der Mittagspause fuhren wir Richtung Passo die Valle Alpisella. Der Himmel wurde dunkler und dunkler. Schwarze Wolken kamen auf uns zu. Auf dem Pass angekommen, fielen dann auch die ersten Tropfen. Wir montierten den Regenschutz am Rucksack und zogen beide eine Regenjacke an. Schnell schwangen wir uns wieder aufs Bike und in zügigem Tempo folgten wir der Kiesstrasse Richtung Livigno. Plötzlich fühlte ich vereinzelt Tropfen, die stärker auf den Armen aufprallten. Es war Hagel. Beine, Arme und ein kleiner Teil des Kopfes wurden nun stark durch massiert. Völlig durchnässt kamen wir unten am Lago di Livigno an. Glücklicherweise erhellte sich der Himmel wieder und der Regen hörte auf. Die obersten Kleiderschichten waren schnell wieder trocken, Schuhe und Unterhosen blieben bis zum Abend nass. Wir fuhren an Livigno vorbei und folgten dem Tal bis zur Forcola di Livigno. kurz vor dem Pass regnete es nochmals. Aufgrund des Wetters entschieden wir die Zusatzschlaufe über den Bernina Pass auszulassen und stattdessen auf direktem Weg nach Poschiavo zu fahren.
Wir folgten ein kurzes Stück der Passstrasse, bevor wir dann links in einen Wanderweg abbogen. Wir bemerkten, dass der Boden nicht sehr nass war und es daher noch nicht viel geregnet hatte. Anhand der Windrichtung konnten wir ausmachen, dass der Regen uns folgen wird. Es folgte nun ein wunderbarer Singletrail bis Poschiavo. In einem Zug fuhren wir zügig aber kontrolliert den noch fahrbaren Weg hinunter, währenddessen es tosend über unseren Köpfen rauschte. Kurz vor Poschiavo fielen wieder die ersten Tropfen. Im Hotel angekommen stopften wir als erstes die Schuhe mit Zeitungen und unterdessen regnete es draussen in Strömen weiter. Glücklicherweise konnten wir im Hotel essen. Ich hätte an diesem Tag keinen zusätzlichen Schritt mehr machen können.
Am nächsten Morgen timten wir das Aufstehen und das Frühstück mit der Abfahrtszeit des Zuges, der uns auf den Bernina Pass brachte. Es folgte eine lange Abfahrt bis Celerina Schlarigna. Kurz nach der Passhöhe folgt ein flowiger Singletrail. Immer noch im ersten Drittel der Abfahrt folgt ein zweiter sehr schöner Singletrail. Hier wird der Gegenverkehr auf einen anderen Weg geführt und so kann man es sorglos laufen lassen.
Von Celerina Schlarigna fuhren wir nach Surlej zur Talstation der Corvatschbahn, wo wir eine Mittagspause einlegten. Fragt mal Dänu wie es ihm dort gefallen hat. Von dort gab es nochmals einen Anstieg und dann folgten wir dem Weg auf der Höhe bis Maloja. Wir hatten stets eine schöne Aussicht auf den Silvaplanersee und den Silsersee. Ab und zu machte ich ein Foto von diesem wunderbaren Panorama, damit ich gleichzeitig noch zu ein paar zusätzlichen Ruheminuten kam. ;-)
In Maloja angekommen sagte Dänu: „Höt muesi mini Bräms umbedingt mou aluege.“ Aus meiner Sicht keine dumme Idee, denn die Kolbenstellung bei der Bremse war speziell und ich habe sie so noch nie gesehen.
Im Hotelzimmer hatte es einen Steckdosentyp, den ich in meinem Leben ebenfalls noch nie gesehen habe. Dänu meinte, er sei dieser Art von Steckdose in der Ausbildung begegnet. Witzelnd fügte er dann dazu, vielleicht hätten sie ja noch einen passenden Staubsauger dazu. Einen wunderschönen Teppich mit grünen, orangen, braunen Quadraten, wie zu Grossmutterszeit, lag auf dem Boden. Ich glaube ihr habt meine Ironie verstanden... Fairerweise muss man sagen, dass es im Hotel auch renovierte Zimmer hatte auf der gegenüberliegenden Seite. Geschlafen haben wir übrigens trotzdem gut. ;-)
Der nächste Morgen war sehr frisch und trotzdem genossen wir die kurvenreiche Abfahrt bis kurz vor Casaccia, wo wir rechts abbogen und in Richtung Septimerpass radelten. Ich hatte mich auf das Schlimmste vorbereitet, aber der Anstieg zur Passhöhe war human. Das Tragen der Bikes war nicht nötig. Dieser Abschnitt der Route wird wohl immer eine E-Mountainbike freie Zone bleiben. Von der Passhöhe folgten wir ein kurzes anspruchsvolles Stück dem Wanderweg, bevor wir es bis Bivio laufen liessen. Da wir den Zug um 14:15 in Tiefencastel nehmen wollten, strengten wir uns noch ein letztes Mal an und folgten dem Weg nach Marmorera, dann mit einem bissigen Anstieg bis unterhalb der Alp Flix und einer langen Abfahrt auf einem Waldweg bis Rona, wo wir eine kurze Mittagspause an der Bushaltestelle machten, dann weiter nach Savognin, und mit einem letzten Anstieg bis Mon war die Tour schon fast geschafft. Kurz oberhalb von Mon erwartete uns die letzte schöne Singletrailabfahrt. Um 14:00 erreichten wir den Bahnhof in Tiefencastel. Zeit genug, um das Billett zu lösen und ein Bier zu kaufen. ;-)
Ein riesen Dankeschön an die Ehefrau Sabrina von Dänu, dass sie ihm ermöglicht hat diese viertägige Tour durchzuführen. Es ist nicht selbstverständlich, musste sie doch während dieser Zeit das Familienleben mit zwei kleinen Kindern alleine bestreiten.
Das war der erste Teil der Alpinen Bikeroute. Wer also wissen will, warum der Hanspeter vom Apfelhof immer gefilzt wird, muss nächsten Sommer beim zweiten Teil der Route auch dabei sein. Wer weiss, vielleicht machen wir einen Halt auf dem Apfelhof...
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