Heh! Niemand ist mitgekommen um zu sehen, warum Hanspeter vom Apfelhof an der Grenze immer gefilzt wird. Den Halt auf dem Glaspass haben wir tatsächlich mit unerwarteter Begleitung gemacht und haben die Sonne auf der Terrasse in vollen Zügen genossen.
Die schon fast private Tour mit Dänu und mir startete dieses Jahr in Tiefencastel und führte offiziell über Thusis, Vals und Disentis bis Andermatt. Inoffiziell ging es dann noch ein bisschen weiter. Später mehr dazu.
Unser erster Halt war oberhalb von Thusis geplant. Hansruedi - ihn, seine Frau Madeleine und Sandra und Andreas haben wir letztes Jahr auf der ersten Etappe kennengelernt - hat sein Versprechen gehalten und uns zum Mittagessen eingeladen. Da es Freitag war, gingen Dänu und ich davon aus, dass wir lediglich eine ausgedehnte Mittagspause zusammen verbringen würden, um dann gestärkt zu zweit weiter zu fahren. Eine erste Überraschung war, dass Sandra und Andreas auch zu uns stiessen und die zweite, dass sie alle uns mit dem Bike bis zum Glaspass begleiteten. Schöne Überraschungen zum Einstieg der Tour!
Nach dem Mittagessen starteten wir, Hansruedi bekundete noch Zweifel, ob er konditionell mit uns mithalten könne, was sich als völlig überflüssig erwies. Er fuhr von unten bis hinauf auf die Passhöhe mit einer riesigen Übersetzung, so wie sich sonst nur e-Bikefahrer verraten, und konnte dazu problemlos erzählen und diskutieren. Ich behaupte, dass die drei obersten Ritzel beim Bike von Hansruedi noch neu und ungebraucht sind.
Es ist schön, wenn man mit Einheimischen unterwegs sein kann. Man erfährt viele spannende Details und je nachdem, wird man Zeuge von lustigen Wortwechseln mit anderen Einheimischen. So grüsste Hansruedi einen Bauernkollegen, der mit dem Rücken zu uns etwas an seinem Heulader hantierte. Ohne sich umzudrehen antwortete dieser neckisch, da er Hansruedi an der Stimme erkannt hatte: „Was bisch de du förne Buur, wo am Fritinomi cha go bike?“ Wir konnten uns das Lachen nicht verkneifen. Ich finde, Hansruedi ist ein Bauer mit Weitsicht, der weiss, wann es sich lohnt, die Arbeit kurz zur Seite zu legen und mit Freunden etwas zu unternehmen.
In Obertschappina füllten wir die Trinkflaschen an einem Brunnen auf, da der Durst, aufgrund der massiven Hitze, grösser war, als normalerweise. Andreas wollte uns Mut machen, dass es nicht mehr weit sei. Er sei sich sicher, dass er in jungen Jahren mit dem Rennvelo bis oben zum Pass 10 Minuten gebraucht habe. Möglich ist es :-), aber es waren dennoch einige Höhenmeter bis oben zum Restaurant zu überwinden. Immerhin lag ein grosser Teil des Aufstiegs im Schatten. Oben angekommen, gönnten wir uns ein Dessert, genossen die Aussicht und diskutierten über das eine und das andere. Wir liessen uns Zeit und schätzten das Zusammensein.
Von da an ging es bis Innerglas weiter, wo wir uns von der netten Gesellschaft verabschiedeten. Einzig Andreas begleitete uns auf der knackigen Abfahrt mit zwei, drei steilen Kehrtwenden, bei denen wir kurz absteigen mussten, bis Safien Platz. Das letzte Teilstück des Safientals nahmen Dänu und ich alleine in Angriff und wir fuhren bis Wanna. Müde, aber mit einer inneren Zufriedenheit und schönen Eindrücken und Erinnerungen an den Nachmittag, radelten wir, ohne grosse Worte, die letzten Meter bis zum Gästehaus Wanna hoch. “Auso doch no!”, waren die ersten Worte Regulas, die uns herzlich in Empfang nahm. Etwas verspätet trafen wir im Gäste- und Familienhaus Wanna ein, das sich am Talende inmitten einer faszinierenden Bergwelt befindet. Wir wurden sehr gut verköstigt und genossen die Gesellschaft von Marcel und Regula, einem aufgestellten Ehepaar, das sich über jeden Besuch im Gästehaus freut.
Ich kann euch diesen Ort, bei welchem in der Nähe zahlreiche sportliche Aktivitäten wie Skitouren, Schneeschuhwandern, Eisklettern, Langlaufen, Wandern, Biken usw., unternommen werden können, wärmstens empfehlen. Die lange Anreise wird sich lohnen!
Am nächsten Tag, nach einem reichhaltigen Morgenessen und nachdem Dänu seine spezielle Sonnencreme, die auch nach acht Stunden noch nicht in die Haut eingezogen war, so dass er wie eine lebendige Mumie unterwegs war :-), eingestrichen hatte, fuhren wir Richtung Tomülpass los. Es erwarteten uns etwa 700 Höhenmeter Aufstieg durch den Morgennebel.
Nach einer kurzen Trinkpause und nachdem wir den vorbeiziehenden Nebelschwaden kurz zugeschaut hatten, nahmen wir vom Tomülpass die lange, tolle Abfahrt Richtung Vals in Angriff. Der erste Teil der Abfahrt war übersichtlich und so konnten wir es laufen lassen. Wir fuhren dicht nacheinander und ich versuchte die Linienwahl Dänus zu übernehmen und konnte dadurch grosse Absätze fahren, bei welchen ich normalerweise abgestiegen wäre, um sie zu Fuss zu überwinden. Die zügige Fahrt wurde von einer entgegenkommenden Wandergruppe unterbrochen. Frühzeitig passten wir unser Tempo an und stiegen kurz vor der Gruppe vom Bike, um böse Worte zu vermeiden. Zu unserem Erstaunen waren einige Wanderer enttäuscht, dass wir nicht an ihnen vorbeigefahren waren und unser ‘(Nicht-)Können’ gezeigt hatten. Ganz allgemein ist uns aufgefallen, dass in dieser Region die Akzeptanz der Biker bei den Wanderern viel grösser ist, als in unserer Region. Wir wechselten zwei, drei Worte und setzten unsere schöne, lohnende Abfahrt fort.
Kurz vor Vals legten wir eine Mittagspause ein und genossen das Panorama.
Am Nachmittag folgten wir der Strasse talabwärts bis Uors, wo wir abbogen und über die Brücke, vorbei an Surcasti, auf der linken Talseite bis Surin fuhren. Das Tagesziel Lumbrein war bereits in Uors sichtbar, jedoch mussten wir ein langes Stück bis Surin fahren, um die Talseite mittels einer Brücke wechseln zu können.
Wie an jedem Tag unserer Tour bildeten sich am Abend grosse Wolken und es wurde dunkel. Wir mussten unser Nachtessen auf der Terrasse unterbrechen und drinnen fortfahren, da Regen einsetzte. Dänu, du hast das Wetter gut bestellt und die Tagestouren gut geplant. Obwohl es an jedem Abend regnete, erwischte uns auf unserer gesamten Tour kein einziger Tropfen Regen.
Am nächsten Morgen, nach unserem Sonnencreme-Ritual ;-), starteten wir unsere zweitletzte Tour und nahmen den langen Aufstieg bis zur Alp Nova in Angriff. Oben gibt es einen speziellen Verpflegungsposten: Er sieht wie ein Milchkasten aus. Öffnet man das Türchen, ist keine Milch drin. Auf der rechten Seite des Türchens ist eine Führung, passend für den Boden eines Schnapsglases, angebracht. Vier Schnapsgläser stehen zum Einschenken bereit. Im Innern des Kastens befinden sich eine Schnapsflasche und ein kleines Kässeli. An der Rückwand des Kastens klebt ein Zettel mit der Aufschrift “Viva! Liebe Grüsse vom Alp-Team Nova”. Die Versuchung war gross, uns zu zuprosten, da aber der kleine Zeiger noch nicht so lange auf eine zweistellige Zahl zeigte, entschieden wir uns, ohne “Zwischenverpflegung” weiter zu fahren.
Es folgte wieder eine zügige, schöne Abfahrt bis hinunter ins Tal, wo wir dem Vorderrhein bis Disentis folgten. Beim Zeltplatz in Disentis legten wir ein Pause ein und badeten unsere Füsse im kalten Fluss. Der Himmel wurde wiederum von dunklen Wolken verdeckt und genau dann, als wir unsere Bikes in den Veloraum der Unterkunft schoben, fielen die ersten Tropfen vom Himmel.
Am Abend kamen wir mit dem jungen Barkeeper ins Gespräch. Er erzählte uns von seinen Bikefahrten in der Region und wir erzählten von unserem Vorhaben. Mit ernster Mine fragte er uns, ob wir tubeless unterwegs seien, was wir verneinten. Seine Folgefrage, mit einem Augenzwinkern, war dann: “Heit dir je e Ersatzschluch drbi?” Wir hatten welche.
An unserem letzten Tag starteten wir in Disentis und fuhren Richtung Oberalppass. Wir kamen beim Golfplatz bei Selva vorbei und beim Durchqueren beobachteten wir das Treiben auf den verschiedenen Plätzen und malten uns lustige Szenarien aus. Man stelle sich zum Beispiel Gentleman Freudiger vor, weiss gekleidet mit stylischen weissen Schuhen und weissen kleinen fingerlosen Handschuhen, wie er mit dem Neunereisen den Ball abschlägt. Passend oder?
Wir folgten ein Stück der Passstrasse und bogen kurz vor der Passhöhe links in einen Weg ein, auf dem wir das wunderschöne Val Maighels durchfuhren. Hinten im Tal befindet sich ein kurzer Anstieg zum Pass Maighels. Die Landschaft und das Panorama sind eindrücklich.
Der Weg führte an einem kleinen See vorbei. Danach begann eine sehr anspruchsvolle Abfahrt. Ich empfehle jedem, sich vorgängig darauf einzustellen, dass bei dieser Abfahrt von oben bis ganz hinunter das Bike gestossen werden muss. Der Weg mit engen Kehrtwenden und schier unüberwindbaren Absätzen, was Dänu am eigenen Leib erfahren musste, wurde sehr steil. Dänu blieb mit dem Vorderrad stecken, überschlug sich und fiel auf spitzige Steine. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte er sich auf, humpelte einige Schritte abwärts, richtete sein Bike und bevor er aufstieg, blickte er zu mir und meinte: “Zum Glöck mues ig nid abeloufe!” Die spitzen, kantigen und scharfen Steine erschwerten die Abfahrt zusätzlich. Die Linienwahl ist meistens gegeben, wer sie ändert, trägt die Folgen. So kam es wie es kommen musste, zuerst Dänu, dann ich machten einen gröberen Fahrfehler mit resultierendem Platten. Beide Male kamen uns die Worte des Barkeepers vom Vorabend in den Sinn und nun wussten wir sein Augenzwinkern richtig zu deuten. Ein Ersatzschlauch ist auf dieser Abfahrt zwingend nötig!
Den letzten Teil bewältigten wir ohne Mühe. Es war jedoch immer noch ein “Ratter, Ratter, Ratter” und verlangte unsere volle Konzentration bis zum Einmünden in eine breite Alpstrasse. Auf dieser radelten wir zügig und entspannt talwärts, Richtung Andermatt, wo die Tour offiziell enden sollte. Wer aber Dänu kennt, weiss, dass, falls noch ein bisschen Zeit übrig bleibt, er immer eine weitere Idee hat, was noch angehängt werden könnte. So schlug er vor, bis Göschenen, dem wohl sonnigsten Ort der Schweiz, kaum ist die Sonne da, ist sie schon wieder weg ;-), dem Wanderweg zu folgen.
In Göschen merkten wir, dass die Zugverbindungen sehr schlecht waren. Was macht man, wenn die Verbindungen schlecht sind und man ein Bike hat? Man fährt bis Erstfeld weiter. “Es geit jo nur abwärts!”, waren die Worte Dänus. Zu Beginn folgten wir dem Wanderweg, was sich als mühsam erwies, da der Weg immer auf und ab führte, mit zum Teil nicht befahrbaren Treppenstufen. So entschieden wir kurz nach Göschenen, den letzten Teil bis Erstfeld auf der Hauptstrasse zurückzulegen. Ich war froh, konnte ich im Windschatten von Dänu fahren, da meine Energiereserven ziemlich aufgebraucht waren.
Das Timing war perfekt. In Erstfeld angekommen, reichte die Zeit gerade, um das Billet zu lösen, eine kleine Zwischenverpflegung zu kaufen und das Bike von Dänu in den Velosack zu verstauen, bevor unser Zug im Bahnhof einfuhr.
Dänu, vielen Dank für die Organisation!
Sandro Spuri
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